Radelnd zu Beispielen der Energiewende

Einen kurzen Streckenabschnitt ihrer zweitägigen, insgesamt rund 220 Kilometer langen „Energiewendetour“ strampelt die „Equipe EuroDeK“ gar nicht selbst, sondern lässt sich fahren. Notgedrungen: Von Sankt Goarshausen nach Sankt Goar führt die Route der 16 teilnehmenden Radsportler über den Rhein, und über diesen ausschließlich eine Fährverbindung. Mit ihren vor der Ausfahrt blitzblank geputzten Rennrädern rollt die Truppe darum auf die von 374 PS angetriebene „Loreley VI“ und lässt sich von ihr hinüberbringen – ehe es vom anderen Ufer aus für die Radler lange bergan, hinauf auf den Hunsrück geht.

Die Equipe rollt auf die „Loreley VI“. Auch am zweiten Tag muss sie sich per Fähre über den Rhein fahren lassen, von Niederheimbach nach Lorch, um auf die rechte Uferseite zurückzukommen.

1977 ging es erstmals los: Radsportler aus den Vereinen RSG Montabaur und RSV Oranien Nassau wollten während ihrer Hobbyausübung zur europäischen Verständigung beitragen und fuhren zunächst vor allem in Frankreich herum (zumal Montabaur mit Tonnerre eine Partnerstadt im Burgund hat). „Der Wein war schön und die Franzosen hatten Spaß, wenn wir das deutsche Bier mitgebracht hatten“, blickt Organisator Uli Schmidt schmunzelnd auf die Anfänge der etwa 25-köpfigen Gruppierung zurück. Inzwischen ist die „Equipe EuroDeK“ als Radsportvereinigung für Europa, Demokratie und Klimaschutz unterwegs.

Startschuss in Boden.

„Heute haben wir uns hier zu einer unserer Thementouren zusammengefunden“, schildert Schmidt am Start einer zweitägigen Etappenfahrt durchs nördliche Rheinland-Pfalz, bei der es um Energie aus erneuerbaren Quellen und ganz konkrete, bereits realisierte Projekte gehen soll. „Das ist wohl unsere Spezialität: Wenn man mit dem Fahrrad durch die Gegend fährt, ist das eine sehr schöne Sache. Aber wir wollen, wenn wir schon viel Fahrrad fahren, das mit wichtigen Themen verbinden.“

Die Sportler sind überzeugt, dass man das Thema Energiewende nicht länger vor sich her schieben kann. Darum besichtigen sie bei ihrer „Energiewendetour“ mehrere Vorzeigeprojekte, so wie beim Start auf dem Gelände der Firma „Goerg & Schneider“ in Boden.

Gerd Stein (links) erläutert den „Maxwäll“-Solarpark.

Auch Markus Mann, geschäftsführender Gesellschafter von „MANN Naturenergie“, ist zu diesem traditionsreichen Familienunternehmen der Tongewinnung und -verarbeitung gekommen. Denn zum einen sponsert MANN die „Energiewendetour“ der „Equipe EuroDeK“. Zum anderen sind sein Energieunternehmen und „Goerg & Schneider“ Teil eines bemerkenswerten „PPA“, eines „Power Purchase Agreements“, das für 15 Jahre geschlossen wurde und zu dem ein dritter Partner gehört: In diesem „Stromkaufvertrag“ ist geregelt, dass „Goerg & Schneider“ für ihre Produktion Grünstrom von der „Maxwäll-Energie Genossenschaft eG“ beziehen. Dieser 2012 gegründete Zusammenschluss hat momentan 623 Mitglieder und betreibt insgesamt fünf Solarparks, die zusammen 7,5 Millionen Kilowattstunden Ökostrom im Jahr liefern.

…und die Steigung auf den Hunsrück zieht sich…

Hier kommt das PPA ins Spiel: Liefert die Genossenschaft vorübergehend zu wenig Strom für den Momentanverbrauch von „Goerg & Schneider“, gleicht der Langenbacher Energieversorger MANN den Mangel über seinen eigenen Bilanzkreis aus – und zwar ausschließlich mit ebenfalls physikalisch gekoppeltem Ökostrom, der aus Wind-, Wasser- und Sonnenenergie sowie aus fester Biomasse gewonnen wird. Damit ist ganzjährig und witterungsunabhängig garantiert, dass die von „Goerg & Schneider“ benötigten Strommengen jederzeit als echter Ökostrom zur Verfügung stehen – gleich, ob er gerade in einem Solarpark der Genossen entsteht oder aus den anderen Quellen kommt.

…oben angekommen, gibt es erst einmal eine Pause vor der Weiterfahrt.

Umgekehrt ist „MANN Naturenergie“ in der Lage, einen etwaigen Überschuss aus den Solarzellen von „Maxwäll“ aufzunehmen und über den eigenen Bilanzkreis an andere Kunden weiterzuleiten. Das ist eine sinnvolle Lösung, denn der Solarstrom wird schließlich nicht immer in exakt der Minute bei „Goerg & Schneider“ gebraucht, wenn er gerade anfällt beziehungsweise nicht die komplette Menge, beispielsweise an einem sonnigen Sonntag, an dem in Boden jedoch nicht gearbeitet wird.

Apropos: Der Energiebedarf des Unternehmens ist enorm, wie dessen Geschäftsführer Florian Goerg ausführt: 24 Millionen Kilowattstunden (kWh) Gas braucht seine Firma und im Schnitt 3,4 Millionen kWh Strom im Jahr!

So passt es inhaltlich wirklich hervorragend, dass auf dem Gelände von „Goerg & Schneider“ der Startschuss zur „Energiewendetour“ gegeben wird – wenngleich danach zunächst nur wenige hundert Meter gefahren werden: Direkt nebenan liegt der 2013 gebaute „Solarpark Steinkaut“ der „Maxwäll eG“. Dort zeigt deren Vorstand Gerd Stein den Radsportlern die installierten 9.920 PV-Module à 250 Watt, spricht über die Haltbarkeit von 81 Wechselrichtern in dem Areal („Die wurden alle schon mindestens einmal getauscht“) und die autodidaktische Arbeit an den Anlagen. „Dabei bin ich eigentlich Lokführer von Beruf“, schmunzelt Stein. 2,14 Gigawattstunden Jahresleistung erzeuge der „Solarpark Steinkaut“ – das sei genug für 600 Durchschnittshaushalte, erläutert der „Maxwäll“-Vorstand.

Blick in die Heizzentrale.

„Ich mache das hier seit 15 Jahren mit“, erzählt Radfahrer Frank Schneider am Rande der Besichtigung in Boden. „Die Motivation ist einfach, mit der Gruppe mitzufahren – das macht Spaß. Da geht es rund, auch nach der Etappe… Und man hat die Europaidee dazu.“ Die Gruppierung habe, wegen des häufig angesteuerten Ziellandes, zunächst „Equipe France“ geheißen. „Aber wir haben uns umbenannt, denn die Demokratie gehört unbedingt zu Europa. Das Umweltbewusstsein passt ebenso – wir fahren Fahrrad nur mit Muskelkraft und nicht den ganzen Tag mit dem Auto herum, das Emissionen verursacht und Energie verbraucht“, so Schneider. Einmal im Monat treffe sich die Equipe neben den großen Themenfahrten wie der „Energiewendetour“ außerdem zu einer kleineren Ausfahrt in der heimischen Region, berichtet der 63-Jährige. „Das ist bisher immer super gewesen.“

Die von „MANN Naturenergie“ gesponserte „MANNschaft e. V.“ ist auf der Strecke, die die „Equipe EuroDeK“ bei der „Energiewendetour“ zurücklegt, übrigens ebenfalls sichtbar vertreten: Nicole Schäfer ist als Gastfahrerin im „MANNschafts“-Trikot zu den Radsportkollegen gestoßen. Zum einen wegen des sportlichen Aspekts, beschreibt sie. „Und ich bin beruflich selbst in der Energieberatung tätig – und wollte gerne sehen, was sich ‚hinter den Kulissen‘ der angesteuerten Projekte abspielt. Mir geht es darum, den Kunden nicht nur etwas zu erzählen, ohne selbst zu wissen und gesehen zu haben, wie etwas gemacht wird, woher etwas kommt. Die Tour ist mal eine andere Perspektive auf etwas, das uns alle betrifft – wir haben die Energiewende einfach schon sehr, sehr lang verschlafen. Und es wird Zeit!“, mahnt Schäfer.

Während der Etappenfahrt fällt insgesamt auf, dass es den Sportlern nicht nur um möglichst leichte Kettenblattschrauben, mittelhohe Carbonfelgen und die Faszination ihres Hobbys geht: Ganz offenkundig haben sich die Teilnehmer mit dem Thema Energiewende auch vorher schon befasst. Sie stellen an den Stationen der Zweitagesfahrt kundige Fragen, möchten von den jeweiligen Fachleuten vor Ort etwa wissen, warum bidirektionales Laden bei der Elektromobilität noch nicht klappt, was Netzbetreiber künftig ändern müssen, was die Umwandlung von Solarstrom in Wasserstoff bringt oder wie lange die PV-Module im Solarpark halten.

Mannebach ist ein beschauliches Dorf mit 42 Häusern.

Gelegenheit zum Austausch gibt es während der zwei Tage und 220 Kilometer reichlich, sei es bei der „Naturenergie Heidenrod“ im Taunus, einem Laufwasserkraftwerk an der Lahn oder dem „Nahwärmeverbund für die Gemeinde Ellern“.

Besonders fasziniert die Gruppe auch das Projekt der Genossenschaft „Energie für Mannebach“. In dem kleinen Hunsrück-Dorf leben 105 Menschen in 45 Häusern. 18 davon sind derzeit an die rund 950 Meter Nahwärme-

Leitung angeschlossen, heizen mit dem 70 Grad heißen Wasser, das darüber in den Eigenheimen ankommt. Um Wärme beziehen zu können, muss man Mitglied der Genossenschaft sein. Sie wurde 2012 gegründet, und seit der Inbetriebnahme der Anlage im Dezember desselben Jahres konnte der Preis für die Kilowattstunden Wärmeenergie konstant bei 8,9 Cent gehalten werden.

Wolfgang Wagner ist Vorstand der „Energie für Mannebach eG“ und war zur Gründungszeit Ortsvorsteher des wie fünf weitere Ortsteile zur 2.000-Einwohner-

Gemeinde Beltheim gehörenden Dorfes. In dessen Mitte wird gerade das denkmalgeschützte alte Schulhaus saniert, anschließend soll es ebenso an das Nahwärmenetz angeschlossen werden. Das böte durchaus Kapazität für insgesamt 26 oder 27 Gebäude, führt Wagner aus. Allerdings scheitern Neuanschlüsse potenzieller Interessenten an den inzwischen horrenden Baukosten: „Die Erdarbeiten sind nicht mehr zu bezahlen“, legt Wagner die Stirn in Falten. Zwei, drei Interessenten im Ort in der Verbandsgemeinde Kastellaun, die nach der Energiekrise in Folge des Ukrainekrieges gerne hinzugestoßen wären, hätten Angebote über 20.000 Euro dafür erhalten. „Ohne ein Rohr im Graben, ohne Hausanschluss!“, schüttelt Wagner ungläubig den Kopf.

Je 250 Kilowatt leisten die beiden Kessel der Mannebacher Energiegenossen. Verfeuert werden Hackschnitzel. Bevor die Brenner gekauft und installiert wurden, fand sich ein Arbeitskreis von zunächst vier Leuten aus dem Dorf, besichtigte Anlagen in der Rhön oder in der Eifel. „Es gab ja noch nicht viel – keine Energieagentur, nichts“, erinnert sich Vorstand Wagner. Die Ölkrise und der Wille, selbst aktiv Umweltschutz betreiben zu wollen, seien seine Beweggründe gewesen. „Es geht darum, nicht ‚man könnte‘, ‚man müsste‘ zu sagen – wir haben etwas Konkretes gemacht!“

Wagner fährt ein Elektroauto, und vom Öl müssten wir wegkommen, betont er und berichtet von einer 800-Kilometer-Fahrt per E-Bike zur in Berlin lebenden Tochter. „Ich hatte mir immer vorgenommen, sie mit dem Rad zu besuchen, wenn ich mal Rentner bin – das habe ich jetzt gemacht“, lacht er. Er trägt ein T-Shirt, das neben einem „Berlin“-Aufdruck Fahrräder zieren.

Kein Wunder, dass sich die „Equipe EuroDeK“ hier nach der Ankunft ausgesprochen wohlfühlt: Auf dem Tisch steht zum Empfang frisch gebackener, noch warmer Apfelkuchen aus dem Gartenlauben-Ofen. Dazu wird selbstgepresster Apfelsaft aus eigenen Bio-Früchten gereicht. Hinter der Heizzentrale wächst allerhand Gemüse, Sonnenblumen recken die Hälse nach der Spätsommer-Sonne. Dorfidylle pur.

Auf dem Dach der Heizzentrale sind PV-Module installiert, sie liefern 30.000 kWh jährlich. Davon verbrauchen die Kessel der Genossenschaft etwa 9.000, der Rest wird ins öffentliche Netz eingespeist. Die Genossen überlegen Wolfgang Wagner zufolge, ob sie sich einen Stromspeicher zulegen, damit sie ihren eigenen PV-Strom künftig auch in der Nacht für den Betrieb des Heizhauses (für Motor und Pumpe) verwenden können.

Und während der Apfelkuchen mundet, die Hackschnitzelheizung nebenan sonorig surrt, nutzen die die „Energiewendetour“ Fahrenden abermals die Gelegenheit, sich mit einem Praktiker der Energiewende rege auszutauschen – obwohl sie ja bereits die 1.600 Höhenmeter der Tagestour in den Beinen haben: „Wie groß sind die Wärmeverluste im Nahwärmenetz?“ „Wie ist die CO2-Bilanz der Heizung insgesamt?“

Uwe Schmalenbach